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Trauerbewältigung im Unternehmen | Interview mit Susanne Schlenker
Vladyslav M.
Vladyslav M. Dez 12 · 5 min read

Trauerbewältigung im Unternehmen | Interview mit Susanne Schlenker

Warum beschäftigst du dich mit dem Thema?

Trauer ist ein einschneidendes Erlebnis, das jeden früher oder später trifft. Dennoch bleibt es, insbesondere im Arbeitsumfeld, häufig ein Tabuthema. Aus meiner Erfahrung als Coach und Resilienz-Trainerin sowie durch meine persönliche Erfahrung habe ich erkannt, wie entscheidend es ist, die Trauer nicht zu unterdrücken, sondern sich ihr bewusst zu stellen und sich mit ihr auseinander zu setzen. Diverse Verluste in meinem Leben und die Krebsdiagnose des Vaters meiner Töchter waren meine Auslöser, mich den Themen Sterben, Tod und Trauer zuzuwenden.

Mich interessiert vor allem, wie Unternehmen einen verständnisvolleren Umgang mit Trauer entwickeln können, um die emotionale Gesundheit der Mitarbeitenden zu stärken und gleichzeitig das Arbeitsklima zu verbessern. In einer Zeit, in der mentale Gesundheit und emotionale Belastungen immer mehr in den Fokus rücken, ist es wichtig, dass Unternehmen auch dem Thema Trauer nicht nur Raum, sondern eine Wichtigkeit geben.

Es geht darum, eine Kultur des Mitgefühls in Unternehmen zu etablieren – eine Kultur, die langfristig sowohl den Mitarbeitenden selbst als auch den Unternehmen im Sinne der Zugehörigkeit zugutekommt.

Warum trauern Menschen?

Menschen trauern, weil sie eine emotionale Bindung zu einer Person oder einer Sache verloren haben – sei es ein geliebter Mensch, eine wichtige Beziehung, ein Lebensabschnitt oder in der Arbeitswelt der Verlust eines Projekts oder ein Karrierewechsel. Trauer ist eine natürliche Reaktion auf Verlust und spiegelt den Wert und die Tiefe einer Bindung wider.

Entscheidend ist, dass Trauer ein Prozess der Anpassung ist. Etwas Bedeutendes zu verlieren, geht einher mit Akzeptanz, Anpassung an die veränderten Umstände und einer neuen Rollenfindung. Dieser psychologische und emotionale Prozess benötigt Zeit, Raum und Reflexion ohne Bewertung.

Wie gehen Unternehmen aktuell mit dem Thema Trauerverarbeitung bei den Mitarbeitenden und Führungskräften um? Gibt es Unterschiede zwischen KMU, Mittelstand und Konzernen?

Viele Unternehmen sehen Trauer immer noch als rein private Angelegenheit. Sowohl Mitarbeitende als auch Arbeitgeber stehen dabei vor großen Herausforderungen: Mitarbeitende müssen den Verlust verarbeiten und sich um ihre Familie kümmern, während sie gleichzeitig ihren beruflichen Pflichten nachkommen. Arbeitgeber wiederum sind gefordert, Mitgefühl zu zeigen und dennoch den reibungslosen Ablauf des Betriebs sicherzustellen.

In großen Konzernen gibt es meist Trauerangebote über Programme wie das Employee Assistance Program (EAP) und standardisierte Richtlinien, z.B. Betriebsvereinbarungen, die festlegen, wie viele Tage Sonderurlaub bei Todesfällen gewährt werden. Allerdings finde ich den Begriff "Trauerfreistellungstage" treffender als "Sonderurlaub", da der Tod eines nahestehenden Menschen emotional und organisatorisch eine Ausnahmesituation darstellt. Jeder, der einen Verlust erlebt hat, weiß, dass ein oder zwei Tage weder ausreichen, um die Formalitäten zu regeln noch den Verlust emotional zu verarbeiten.

In kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie im Mittelstand sind die Strukturen oft persönlicher und flexibler, aber es fehlen häufig formalisierte Prozesse. Hier bieten Führungskräfte oft individuelle Unterstützung an, da die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitenden und Führungspersonen enger ist. Wie viel Raum der Trauer gegeben wird, hängt stark von der Unternehmenskultur und den Führungspersönlichkeiten ab.

Meine Erfahrung zeigt, dass persönliche Betroffenheit eine große Rolle spielt. Hier reagieren Unternehmen entweder mit großem Mitgefühl oder mit Unsicherheit und Sprachlosigkeit. Ein gutes Beispiel ist Sheryl Sandberg von Meta (ehemals Facebook), die nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes erkannte, dass die üblichen zwei Tage Freistellung nicht ausreichend waren. Sie führte daraufhin eine Regelung ein, die es Mitarbeitenden ermöglicht, je nach Verwandtschaftsgrad bis zu 20 Tage freizunehmen.

Diese Art von Verständnis für die Bedürfnisse trauernder Mitarbeitenden könnte als Vorbild für viele Unternehmen dienen, um langfristig eine unterstützende und empathische Arbeitskultur zu fördern.

Was ist die größte Herausforderung der Führungskräfte bei der Kommunikation des Themas?

Viele Führungskräfte fühlen sich unwohl, wenn es darum geht, über emotionale Themen wie Tod und Trauer zu sprechen. Sie wissen oft nicht, wie sie angemessen reagieren sollen, ohne entweder zu distanziert oder zu persönlich zu wirken.

Führungskräfte vollführen einen Balanceakt, indem sie einerseits Mitgefühl und Verständnis für die Trauernden zeigen, andererseits aber auch die geschäftlichen Interessen wahren sollten. Hier hilft es, auf die Bedürfnisse zu schauen und flexibel zu handeln. Meine Lieblingsfragen in diesen Fällen lauten: „Was brauchst du als trauernde Person jetzt? “ und „Was brauche ich, als Führungskraft, um die Produktivität und den Betrieb aufrecht zu erhalten?“ Darüber offen und mit Mitgefühl ins Gespräch zu kommen, ist das A&O.

Digitale Lernangebote: Was können diese bei einem so sensiblen Thema leisten? Wo sind die Grenzen? Wo muss es analog bleiben?

Digitale Lernangebote können helfen, Führungskräfte und Mitarbeitende für das Thema Trauer zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, wie sie mit trauernden Kollegen und Kolleginnen umgehen können. Schulungen über Trauerprozesse und psychologische Unterstützung sind hier eine große Hilfe.

Trauer ist ein persönliches und emotionales Thema, das oft durch menschliche Interaktion besser bewältigt wird. Digitale Tools können als eine erste Annäherung dienen und daher als Ergänzung und nicht als Ersatz für persönliche Gespräche und Unterstützung von Kollegen oder Kolleginnen oder Führungskräften verstanden werden.

Wie antwortest du, wenn Leute dieses Thema komplett aus dem beruflichen Alltag verbannen wollen mit der Begründung, dass es ein höchst privates und intimes Thema sei?

Auch wenn Trauer zutiefst persönlich und individuell ist, beeinflusst sie unweigerlich die Arbeitsleistung und das Wohlbefinden eines Menschen. Wir gehen als ganze Menschen morgens zur Arbeit und können auf Dauer die Trauer nicht am Eingang zum Unternehmen abstreifen. Wenn wir Trauer bewusst ignorieren, laufen wir Gefahr, dass Mitarbeitende an eine emotionale Belastungsgrenze kommen, was langfristig zu höheren Krankenständen und Produktivitätsverlusten führt.

Mitarbeitende honorieren es hingegen, wenn Unternehmen in einer Krisensituation für sie da sind – dadurch wird die Mitarbeiterbindung nachhaltig gestärkt. Außerdem kann es dazu führen, dass die betroffenen Mitarbeitenden arbeitsfähig bleiben, was Unternehmen dann wiederum in finanzieller Hinsicht profitieren lässt.

Wo siehst du die Zukunft der „digitalen Trauerverarbeitung“?

In Zukunft könnten Unternehmen vermehrt auf digitale Plattformen setzen, die psychologische Unterstützung und Trauerbegleitung bieten. Virtuelle Trauergruppen, Beratungsangebote oder Trauer-Therapie-Apps könnten den Mitarbeitenden dabei helfen, flexibel und anonym Unterstützung zu erhalten.

Trotz der Fortschritte in der digitalen Welt wird die menschliche Komponente in der Trauerverarbeitung weiterhin von großer Bedeutung bleiben. Digitale Tools können die Arbeit ergänzen, aber persönliche Beziehungen und direkte Kommunikation werden unverzichtbar bleiben.


Kein Thema kommt heute mehr drumherum, mit KI in Verbindung gebracht zu werden. Was hältst du von KI-basierten Trauerverarbeitungs-Angeboten und welche Rolle werden diese in der Unternehmenszukunft spielen?

KI-basierte Trauerverarbeitungs-Angebote spielen bereits heute schon eine Rolle, indem sie personalisierte Unterstützung bieten. Beispielsweise begleiten Chatbots Trauernde rund um die Uhr und reagieren auf individuelle Bedürfnisse. Diese Technologien können kurzfristig emotionale Unterstützung bieten.

KI kann derzeit allerdings nicht die menschliche Empathie und das tiefgehende Verständnis ersetzen, was in der Trauerbewältigung von unschätzbarem Wert ist. KI kann als unterstützendes Werkzeug fungieren, doch die emotionale Tiefe und das Mitgefühl, das nur in echten zwischenmenschlichen Beziehungen zu finden ist, ist gerade in sensiblen Phasen wie der Trauer unersetzlich.

Aus meiner Sicht sollte es nicht darum gehen, unangenehme Gefühle wie Trauer zu verdrängen oder zu umgehen, indem Trauernde beispielsweise Avatare von Verstorbenen nutzen, die den Eindruck erwecken, sie seien noch unter uns. Diese Praxis könnte als eine Form der Verleugnung unserer Sterblichkeit verstanden werden – und somit einem wesentlichen Teil des Lebens. Ist es nicht gerade das Bewusstsein um unsere Endlichkeit, das dem Leben seinen wahren Wert verleiht?

Über Susanne Schlenker

Susanne Schlenker bietet Coaching und Resilienz Training an und unterstützt Unternehmen dabei, mit Trauer am Arbeitsplatz umzugehen. Sie arbeitet eng mit Teams und Führungskräften zusammen, um gemeinsam Verluste zu verarbeiten und daraus gestärkt hervorzugehen. Ihr Ansatz verbindet Achtsamkeit und emotionale Intelligenz, um Menschen und Unternehmen in schwierigen Phasen gezielt zu unterstützen. So hilft sie, dass sowohl Einzelpersonen als auch Teams in stressigen Zeiten gestärkt werden und eine widerstandsfähigere, positivere Unternehmenskultur entstehen kann.  

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